Unterägeri wird eine eigenständige Gemeinde

Zusatzinformationen zur Stele – aus “Ägerital – seine Geschichte”

Gemeindeautonomie

Bis 1798 waren die vier freien Zuger Gemeinden so eigenständig und wichtig gewesen wie später nie mehr. Sie dominierten als Körperschaften die kantonale Politik, da im Gemeindereferendum jede Gemeinde eine Stimme hatte und das Volksmehr nichts zählte. In ihren inneren Angelegenheiten handelten die Gemeindebürger fast nach Belieben. Die Talleute von Ägeri waren unbestritten die Herren in ihrem Haus.

Wirtschaftlich waren die beiden Teile mit ihren Allmendgenossenschaften seit je eigenständig, und mit der Vereinbarung von 1763 waren sie auch kirchlich geschieden. Damit war jeder Teil für seine Schule und die kirchliche Armenfürsorge zuständig. Gemeinsame Angelegenheiten waren nur noch die Vertretung der Interessen nach aussen, die Wahlen, das Talrecht, Polizei und Miliz, die Pensionen und die Aufsicht über Gewässer wie die Lorze, die Anlass für neuerlichen Streit bot.

Der Lorzen-Streit

Aus diesem grundsätzlichen Interessenkonflikt entstand 1786 ein erbitterter Streit, der zum offenen Machtkampf zwischen der oberen und unteren Gemeinde eskalierte. Im Dezember 1786 klagten Seeanstösser, wie sie mit grossem Aufwand die Lorze gesäubert hätten, nun aber die Waschstege erneut hineingestellt worden seien. Die «ganze Gmeind» beschloss darauf, dass alle Hindernisse zu entfernen seien. Die Talmänner aus der unteren Gemeinde bestritten die Zuständigkeit, boykottierten die Versammlung und schickten den aus Unterägeri stammenden Ägerer Gemeindeschreiber Franz Josef Iten allein nach Oberägeri, um ihre Rechte an der Lorze zu schützen. Als sich dort Iten weigerte, in seiner Funktion als Schreiber den Beschluss zu protokollieren, setzten ihn die allein anwesenden Oberägerer kurzerhand ab und wählten einen der Ihren. Darauf brachte Josef Iten, genannt «Bärler», Vorsteher der «untern Gmeind» und Ratsherr, die Sache vor den Stadt- und Amtrat, der erfolglos eine gütliche Einigung empfahl. Die Oberägerer, die ihren alten Protokollen entnommen hatten, dass stets die ganze Gemeinde über die Lorze befunden habe, verlangten nochmals die Ausräumung der Lorze, während die Unterägerer auf ihre Rechte verwiesen. Der Konflikt eskalierte, als die Oberägerer an einer von den Unterägerern gemiedenen Siebengeschlechtergemeinde den «Bärler» nicht nur als Ratsherrn absetzten, sondern zusätzlich aus dem Talrecht verstiessen, da er die Sache wider die Talstatuten vor den Stadt- und Amtrat gebracht habe. Die Unterägerer protestierten, die Oberägerer widersprachen und setzten sich mit ihrer Mehrheit durch. Die Lorze musste von den Hindernissen befreit werden, Ratsherr Iten blieb verstossen.

Die politische Trennung

Im Gegensatz zur kirchlichen Trennung verlief sie 1798 anscheinend ohne grosse Nebengeräusche. Vielleicht wurden aber allfällige Misstöne vom gleichzeitigen Donner der Helvetischen Revolution überdeckt. Im Frühling jenes Jahres brach die Alte Eidgenossenschaft zusammen. Anfangs Mai war der Stand Zug bloss noch ein kleiner Teil des neuen helvetischen Kantons Waldstätten und Ägeri eine seiner vielen Gemeinden. In dieser Neuorganisation konstituierte sich Unterägeri als eigene Gemeinde, wenn dies auch in den wenigen Quellen nicht genau fassbar wird. Im August 1798 wählten die Unterägerer einen eigenen Munizipalitäts- oder Gemeinderat. Erster Präsident wurde Josef Anton Hess, ein erfahrener Solddienstoffizier. Schon im Oktober 1798 einigten sich Oberägeri und Unterägeri prinzipiell über die Teilung der Guthaben und Schulden im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Oberägeri zählte damals gut 1300, Unterägeri 900 Einwohner.

Seit 1798 besteht eine eigene politische Gemeinde Unterägeri mit einem eigenen Gemeindegebiet, Rat und Schreiber, einer Gemeindeversammlung, einem Präsidenten und einem Siegel, also mit allem, was gemeinhin eine Gemeinde ausmacht. Nach dem Zusammenbruch der Helvetischen Republik blieb die Trennung bestehen. Einzig gegenüber dem Kanton bestand die alte Gemeinde Ägeri in gewissem Sinne immer noch, da die beiden Gemeinden ihre kantonalen Wahlen gemeinsam durchzuführen hatten. 1811 erneuerten die Gemeinden nochmals die alten Talstatuten.19 Die Unterägerer gingen aber nicht gern nach Oberägeri, um dort zu wählen, «weil wir hier ein Eygen G[e]m[ein]dt ausmachen». Mit der neuen Kantonsverfassung von 1814 fiel dieser Sonderstatus diskussionslos dahin.

Helvetik

Helvetische Republik ist die offizielle Bezeichnung des schweizerischen Staatswesens, das am 12. April 1798 die alte Eidgenossenschaft ablöste und bis zum 10. März 1803 bestand; “Helvetik” lautet der entsprechende Epochenbegriff.

War das Bürgerrecht im Ancien Régime ein exklusives Gut und die Niederlassung ein Gnadenakt der Gemeinde gewesen, so versuchte die Helvetik eine im Wortsinne revolutionäre Lösung, welche die bisherigen Verhältnisse auf den Kopf stellte und ein allgemeines helvetisches Bürgerrecht deklarierte. Alle Bürger über 20 Jahre sollten in den neuen Einwohnergemeinden stimmberechtigt sein. Die nutzungsberechtigten Bürgerinnen und Bürger waren in speziellen Bürgergemeinden organisiert. Mit ihrer Öffnung von Bürgerrecht und Niederlassung setzte die Republik Massstäbe für die Zukunft, auch wenn ab 1803 das alte Recht neuerdings massgebend war.

Médiation

Der offizielle Staatsname der als Staatenbund neu konstituierten Schweiz lautet seither Confoederatio Helvetica, deutsch «Schweizerische Eidgenossenschaft».

Die Ägerer Gemeinden kehrten zu ihrer restriktiven Politik zurück, die keine Aufnahme von Neubürgern zuliess und von der steten Angst geprägt war, sich Armengenössige aufzuhalsen und durch die Zuwanderung von Fremden die eigenen Ressourcen übermässig zu belasten.

1803 erhielten die Gemeinden viele ihrer alten Rechte zurück, konnten aber nicht mehr tun und lassen, was sie wollten, sondern hatten sich an gewisse kantonale Vorgaben zu halten. Ihre Stimme als Gemeinde hatte keine offizielle Bedeutung mehr. An der Landsgemeinde und im Landrat entschied direkt oder indirekt das Volksmehr.

Niederlassungsrecht

Zwangsweise offener waren die Gemeinden für die Niederlassung, da die Kantonsverfassung das mit der Freiheit von Handel und Gewerbe verbundene Niederlassungsrecht für Kantonsbürger garantierte und sich auch auf eidgenössischer Ebene eine beschränkte Niederlassungsfreiheit durchsetzte.

Für die Ägerer Gemeinden, die mit hohen administrativen und finanziellen Hürden Niederlassungen erschwerten, war das neue Recht vorerst unbedeutend.

Noch 1850 machten in Oberägeri die Niedergelassenen kaum mehr als ein Prozent, die Fremden insgesamt einen guten Zehntel der Einwohner aus. Viele von ihnen hatten den Aufenthaltsstatus und lebten als Knecht oder Magd im Haushalt eines Gemeindebürgers.

In Unterägeri dagegen hatten die neuen Spinnereien die Situation drastisch verändert. Hatten 1836 noch ähnliche Verhältnisse wie in Oberägeri bestanden, waren 1850 die Niedergelassenen mit eigenem Haushalt eine respektable Minderheit von einem Siebtel, welche das Gemeindeleben in mancher Hinsicht zu beeinflussen begann.